Die Fotos entstanden für die Zeitschrift [Mohltied!] 1’2015 mit einem Text von mir.
In aller Ruhe
Bornhöveder See, Belauer See und Schmalensee liegen am Südwestrand der schleswig-holsteinischen Seenplatte. Kaum jemand kennt sie. Touristen gibt’s hier wenige. Dem Fischer Johann Christophersen ist das recht. Er liebt in der Natur Ruhe und Einsamkeit. Seine frischen und geräucherten Fische und Aale verkauft er zweimal in der Woche auf dem Markt in Neumünster.
Das Eis in den Schlaglöchern kracht unter den Reifen. Der Weg führt am See entlang. Am stehen die Häuser des Hofs, hinter ihnen ein zweites Wasser. Johann Christophersens betagtes Anwesen liegt auf einer engen Landzunge zwischen Bornhöveder See und Schmalensee.
Im dicken Pullover, weiten, nassen Gummihosen und großen Gummistiefeln steht er im Schuppen und wäscht den Fischen in einer großen Wanne die Salzlake ab, in der sie über Nacht gelegen haben. Saiblinge, Maränen, Forellen, Karpfen und Brassen. Zusammen mit Kompagnon Sönke Nagel zieht Christophersen die Fische sorgfältig auf Haken. Der Tierarzt war eben da. Zu früh zum Fische kaufen. Er ist im Stall verschwunden, wirft einen Blick auf Christophersens 45 Kühe, die dort im Winter auf Stroh stehen.
Zentimeterdicker Ruß glänzt schwarz an den Innenwänden des Räucherofens. Mit einer Schaufel kratzt Christophersen Placken von der Ofendecke. „Wenn ich das nicht mache, fällt Ruß auf die Fische, dann sind sie hin“, sagt er und hängt sie behutsam in zwei Etagen im Ofen auf, mit Abstand, sie dürfen nicht zusammenkleben. Räucherkammer zu – Fenster und Tür sperrangelweit auf!
„Gut, dass ich keine Nachbarn habe. So gibt es niemand, den der Rauch stört.“
Die Holzscheite, die da geschichtet im Ofen liegen, sind von den Erlen am Ufer. Mit dem Gasbrenner zündet er sie an. Ein Duft nach See, nach Ofen und Wärme erfüllt den Raum. Als es gerade behaglich wird, wirft der Fischer Erlen- und Buchenspäne in’s Feuer. Beißender Rauch steigt wie in einen Schornstein in die Räucherkammer nach oben und tritt aus allen Öffnungen und Ritzen des Ofens nach außen. Es treibt mir Tränen in die Augen, ich flüchte. Christophersen schmunzelt. Er kennt so was. Er schaut auf’s Thermometer. 50 Grad. Die Temperatur steigt. Er schüttet noch mal Späne nach. Sönke Nagels Kopf erscheint in der Tür: „Ich mach schon mal das Boot klar.“ Christophersen dreht sich zu ihm. „Nimm die Tonne für das Netz mit.“ Das Thermometer immer im Blick, versinkt er wieder in Schweigen auf seiner Holzbank vor dem Ofen. Ruhe kehrt ein. Die Holsteiner sind schweigsame Leute.
Seine Vorfahren haben den Schmalensee 1804 vom Herzog von Ascheberg gekauft. Vom angrenzenden Bornhöveder und Belauer See hat er die Fischrechte nur gepachtet. Von 7 bis 33 Meter reicht die Tiefe der Seen, darum erwärmt sich das Wasser im Frühjahr unterschiedlich schnell und Christophersen muss zu unterschiedlichen Zeiten hinaus mit seinem Boot. Bevor er im Frühjahr den Nachwuchs an Edelfischen aussetzt, geht er mit der Pinzette über die großen Behälter mit Fischlaich aus Mecklenburg und sortiert die verdorbenen Eier aus. Chemie kommt bei ihm nicht zum Einsatz.
Das Wasser in den drei Seen gehört zum saubersten in Deutschland, sagt Christophersen. Der nahe Plöner See und selbst die Mecklenburger Müritz können seinen Seen in punkto Sauberkeit nicht das Wasser reichen. Probleme gibt es dennoch. Biogasanlagen und Maiswirtschaft überdüngen die Böden. Die Nährstoffe landen in den Seen. Für die Qualität der Fische ist das nicht schädlich. Die Folgen für das Ökosystem aber sind nicht abzusehen.
In diesem Jahr ist es 40 Jahre her, dass Johann Christophersen die Fischerei von seinem Vater übernahm. Hat sich im Laufe der Zeit etwas geändert? „Oh ja!“, Christophersen zieht die Augenbrauen hoch. „In den 80ern hatten wir Tonnen von Flusskrebsen in den Reusen. Der Bestand ging innerhalb weniger Jahre auf Null zurück. Kommt vom Virus, den Krebsimporte aus Thailand über Kläranlagen eingeschleppt haben. Unsere Bestände waren einfach nicht immun dagegen“. Auch die Aalfischerei ging drastisch zurück. „Die verflixten Kormorane“, schimpft der Fischer. „Seit 20 Jahren sind sie in Schleswig Holstein. Und lieben unsere kleinen Blankaale über alles.“ Da kommt den Fischern die Aufgabe zu, das Gleichgewicht in den Seen zu erhalten. „Klingt vielleicht komisch“, sagt Christophersen, „aber wenn du den See nicht befischst, gehen die Bestände zurück.“
Es tuckert leise, als Sönke Nagel das Boot geschickt mit dem Heck voran durch einen Schilfgürtel aus der Aue hinaus auf den See steuert. Eben noch hatte Christophersen den Kopf gewiegt, als ich den Wunsch äußerte, dabei zu sein. „Wenn ein Fremder mitfährt, bleiben die Netze leer“, sagte er abergläubisch. „Es sollen nie so viele Augen ins Wasser rein- wie rausgucken, das mögen die Fische nicht“. Er schmunzelte, ich durfte mit.
An der Oberleine ziehend holt Sönke Nagel das Netz ein. Meter um Meter. Anfang und Ende haben sie am Vorabend mit Bojen gekennzeichnet. Die Maschen sind riesig. Um die 10 cm groß und aus kaum sichtbarem Nylonfaden geknüpft. Sie sind gähnend leer.
Erst nach etwa 20 Metern spürt er zum ersten Mal ein Zucken. Eine große Brasse zappelt in den Maschen. Mit geübten Fingern befreit er den Fisch aus dem Neylongespinnst und lässt ihn in das im Boot eingebaute Bassin platschen. Gerade mal zwei weitere Brassen und ein großer Hecht kommen hinzu. Ist doch was dran am Aberglauben.
Wieder an Land sieht Christophersen auf einen Blick, was los ist. Er nickt. „Jo, jo.“ Sein O ist lang. Ganz leicht schwingt am Ende ein U mit. Es liegt Einverständnis in diesem „Jo“, Bestätigung aus Erfahrung. Und dann auch noch dieses Quentchen ganz speziellen schleswig-holsteinischen Humors.
Sönke Nagel ist jung und hat eine Erklärung für den versemmelten Fang. Im kalten Wasser bewegen sich die Fische wenig. Sie tauchen in die tiefen Regionen ab, wo das Wasser bei 4 Grad die größte Dichte hat und am schwersten ist. So überleben sie, wenn der See zufrieren sollte. Da unten kann man sie nicht fischen. Der Fang um diese Jahreszeit ist also immer klein. Aber trotzdem. Sönke Nagel schaut mich mit schiefem Kopf an: „Vier Fische sind schon extrem wenig für Ende Januar“.
Der Räucherofen hat 80 Grad erreicht. Die Temperatur sinkt wieder. Der Rauch lässt nach. Beim Öffnen schimmern die Fische goldbronzen. Satter Duft zieht in die Nase. Die beiden verpacken die noch warmen Fische behutsam in offene Kisten. Am nächsten Tag wird einer von beiden sie zusammen mit ihren frisch gefangenen Fischen auf dem Markt in Neumünster verkaufen.
Bevor es mit den Fischen losgeht, füttert Christophersen frühmorgens die Kühe und kümmert sich um ein Paar Schafe, er mistet Ställe aus. Neben Landwirtschaft und Fischerei muss er auch Proben ins Labor schicken und muss ins Büro, um alle Arbeiten zu protokollieren, er ist als Fischer und Bauer schließlich auch See- und Landschaftspfleger.
Gut, dass sein Kompagnon da ist. Der lernte die Fischerei, nachdem der elterliche Hof vor Jahren abbrannte. „Aber so eine Arbeit macht man nicht nur für Geld“, sagt der Jüngere. „Das lohnt sich nur, wenn man es gern macht.“ Er wird alles übernehmen, wenn der kinderlose Christophersen einmal müde geworden ist.
Der noch warme Saibling, den ich mit nach Haus nehme, duftet köstlich. Sein Fleisch glänzt rosa. Der Rauch intensiviert den Fischgeschmack so sehr, dass es ist, als entstünden Bilder auf dem Gaumen – der See, der Hof, die Landschaft zergehen auf der Zunge. Und nicht mehr als ein Hauch Meerrettich und ein Stück frischen Sauerteigbrots als Beilage sorgen für eine runde Mahlzeit.

alle Bilder © Uta Rauser, 2015; http://www.uta-rauser.de
Johann Christophersen
Clus
24619 Bornhöved
Tel.: 0 43 23 / 63 45
Öffnungszeiten:
Stand auf dem Wochenmarkt
auf dem Großflecken in Neumünster
Freitag von 8 bis 13 Uhr
Samstag von 8 bis 14 Uhr
Geräuchert wird meistens am Donnerstag
Toller Bericht, tolle Bilder. Man kann sich genau in die Situation hinein versetzen und sieht die Fischer vor dem geistigen Auge. Toll wie die Stimmung wieder gegeben wurde.
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Danke! Das freut mich sehr.
In der nächsten Ausgabe der [Mohltied!] gibt’s von mir was über Krabben. – Ich bleibe dem Wasser treu.
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Herzliche Glückwünsche zu diesem Ausnahmeartikel, der sprachlich und fotografisch ein wahrer Leckerbissen ist! Er macht Appetit auf mehr!
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Vielen, vielen Dank!
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Der geräucherte Saibling ist ein Gedicht. Den besten den wir bisher gegessen haben. Am Wochenende bringt meine Tochter Nachschub mit. Ich freu mich jetzt schon.
Inge
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Liebe Inge,
bei uns gab’s am Wochenende geräucherten Aal aus dem Schmalensee. Mit Aal kann man mich sonst gar nicht so locken. Aber gegen diesen kann jeder medikaamentenvollgestopfte Mastaal einpacken.
Danke für Deinen schönen Kommentar!
Uta
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