Die Fotos entstanden für die Zeitschrift [Mohltied!] 1’2016 mit einem Text von mir.

Text und alle Bilder: © Uta Rauser, 2016; http://www.uta-rauser.de
Die Berufsfischerei in der Holsteinischen Schweiz hat eine 800jährige Tradition. Doch die vielen Seen ernähren heute gerade noch sieben Fischer. Im Vergleich zu den 1990er Jahren ist der Ertrag auf 10% geschrumpft. Mehr als einer erwägt, aufzugeben.
Die Fischerei wird vererbt. Als Sabine Schwarten, Fischerin am Eutiner See das sagt, wird sofort klar, dass sie gerade nicht Boote und Ausstattung meint, sondern ihre Leidenschaft. Schon als Kind ist sie mit ihrem Vater losgezogen. Jedes Detail liegt ihr am Herzen.
Die Herbstsonne schickt ihre morgendlichen Strahlen über den diesigen Horizont und verfängt sich in den Baumwipfeln. Ein makelloser Oktobertag bricht an überm Eutiner See. Die Fischerei Schwarten liegt noch im Schatten. Die Chefin empfängt mich mit hellen, wachen und freundlichen Augen. Ihre Leute in klobigen Gummistiefeln, weiten Ölhosen und Öljacken sind schon geschäftig. Vier Mann schlep-pen Metallrohre, Kescher, Werkzeugkisten und Pro-viantboxen an Bord des Kahns, der da am Steg ver-teut liegt. Dann geht es los.
Zwei Zugnetzboote, ein Helterkahn und ein Beiboot sind zu einer Art Floß zusammen gebunden. Vier Außenbordmotoren laufen auf Hochtoren und brin-gen die Schiffe in Fahrt. Sehr windschnittig ist das nicht, und schnell schon gar nicht. Aber laut. Zu laut für Gespräche. Die Verständigung läuft über Zei-chen. Vater Schwarten ist immer noch dabei. Er geht auf die 80 zu. Aber das glaubt man nicht, wenn man sieht, wie behende und leichtfüßig er sich auf den Booten bewegt. Vater und Tochter sind aufeinander eingespielt. Jeder Griff sitzt, weil sie ihn schon viele hundert Mal gemacht haben. Zwei Leute helfen ih-nen. Für so ein schweres Zugnetz müssen es schon vier sein.
Nach einer Viertelstunde Fahrt nicken sich Vater und Tochter zu. „Hier ist es“. Die Motoren werden gedrosselt, die Boote in Stellung gebracht. Der 30 Meter lange Fangsack wird über Bord geworfen. Er versinkt im Dunkel des klaren Wassers. An ihm befestigt sind die beiden 270 Meter langen Netzflü-gel, die die Fische in den Sack scheuchen. Sie wer-den später lebend weiterverkauft. „Mach die Leine los, Papa“, ruft Sabine Schwarten. Aber Papa ist schon dabei.
Der Brassen, der bis zu 8 Kilo schwer werden kann, gründelt im Gewässerboden und hat von einer ge-wissen Größe an kaum noch natürliche Feinde. Und zu viele Brassen im See, das bedeutet zu viel Bio-masse und Wassertrübung. Unter der leidet der Aqua-Pflanzenwuchs, in dem viele andere Fischar-ten leben. Brassen sind schmackhaft, gelten aber wegen vieler Gräten als minderwertig. Sie sind gut für Fischfrikadellen. Aber auch in Angelteichen sind sie begehrt, ihr Angelverhalten interessiert die Ang-ler.
Die beiden spiegelsymmetrisch gebauten Boote lö-sen sich voneinander. Ich springe gerade noch recht-zeitig auf das Boot von Sabine Schwarten, ich würde sie sonst die nächsten zwei Stunden nicht mehr zu Gesicht bekommen. Beide Boote entrollen jetzt die langen feinmaschigen Treibnetze. Ihr Polyethylen ist so hart, dass die Fische das Material als Fremdkör-per erkennen und nicht hindurch schwimmen; ein elementarer Vorteil bei der Lebendfischerei, weil es Verletzungen vermeidet. Zugnetzfischerei ist im Gegensatz zur Schleppnetzfischerei, die in den Mee-ren betrieben wird, fisch- und umweltschonend.
Es dauert mehr als 2 Stunden, bis sie das Fanggebiet mit dem Netz eingekreist und die Fische in den rie-sigen Netzbeutel getrieben haben. Die beiden Treib-netze werden wieder eingerollt und der Fangsack mit einer Metallstange als Dreieck zwischen die beiden Boote gekeilt, so dass die Leute jetzt die Fische von Hand aussortieren können – die großen zur Ver-marktung die kleinen werden zurück in den See ge-setzt. „Die sollen noch wachsen“, Sabine Schwarten kuckt nach vorn.
Ein Angelverein hat 500 Stück 1-Kilo-Brassen geor-dert. „ Diese Bestellung hätte ich nicht angenom-men“ brummelt Vater Schwarten. „Der See ist Na-tur, da laufen die Fische nicht grammgenau vom Band.“ Aber die Tochter lässt die Brassen schon nach Größe sortieren und im Helterkahn verstauen. Sie hat jetzt das Sagen, da kann Papa gern reden. Das Sortieren dauert. Und geht in die Arme. Am Ende sind es gerade mal 100 Brassen. Sabine Schwarten hofft auf den nächsten Tag – und hat Glück, es zappeln über 1000 im Netz.
Alles an den Booten ist unikat. Jede Schweißnaht, jeder Haken, jede Führung – Ergebnis jahrelanger Erfahrung. Über 100.000 € stecken in Booten und Ausrüstung. „Wenn ich gewusst hätte, wie sich die Fischerei entwickelt“, seufzt der Alte “, ich hätte mir das gespart.“ Sein Kummer hat zwei Namen: Grau-gans und Kormoran.
An den Ufern des Eutiner Sees gibt es fast kein Schilf mehr. Denn seit den neunziger Jahren verbringen Tausende von Graugänsen ihre Mauser in Norddeutschland. Sie wechseln ihr Federkleid und sind in dieser Zeit flugunfähig. Auf den Seen ist die Gefahr vor Feinden am geringsten. Dort fressen sie die Schilfgürtel ab. Aber im Schilf legen die Fische ihren Laich ab, dort brüteten früher einmal sogar Rohrdommeln und Rohrweihen!
Und der Kormoran? 5000 Exemplare leben in den Sommermonaten inzwischen in Schleswig-Holstein und jeder frisst täglich mindestens 1 Pfund Fisch. Bis zu 30 Meter tief können die intelligenten schwarzen Vögel tauchen und jagen. Oft verletzen sie die Fische nur mit ihrem hakenbewehrten Schna-bel, ohne sie zu fangen.
Dass Gänse und Kormorane wesentlich daran betei-ligt sind, wenn die Fischer heute 90 Prozent weniger Fang in den Netzen haben als noch in den 1980er und 90er Jahren, streiten auch die – „von Natur aus“ gänse- und kormoranfreundlichen Naturschützer nicht mehr ab. Die Fischer aber – ebenfalls durchaus naturgemäß – bewirtschaften die Seen immer schon so, dass die Gewässer sich selbst regenerieren. Sie haben das Gefühl, der Naturschutz falle ihnen in den Rücken. Eine verantwortungsvolle Landespolitik müsste den Fischern ihre durch Naturschutz entste-henden Verluste ebenso ersetzen, wie sie der Land-wirtschaft die Schäden vergütet, die auf Wild- und Gänsefraß zurückzuführen sind; die Politik müsste alle Beteiligten ins Gespräch miteinander bringen. Aber sie tut es nicht.
Kaum ein Speisefisch, der in der Gegend gegessen wird, kommt noch aus heimischen Gewässern. Mit den Aalen ist es besonders arg. „Wir haben früher übers Jahr zwei Tonnen im See gehabt“, sagt der alte Fischer. „Im letzten Jahr waren es noch 90 Kilo“. Die jungen Aale (Glasaale) auf dem Weg von ihrer Geburtsregion, der Sargassosee südlich der Bermu-das, werden tonnenweise bereits in Asien abgefischt, in Riesenmastastanlagen schlachtreif gezüchtet und teuer verkauft. Schon früher kostete ein Kilo Glasaal die Fischer 100 bis 120 €; inzwischen bezahlen sie bis zu 1500 €. „Und früher hatten wir zwanzig Pro-zent Rückfang, wenn wir sie aussetzten“, klagt Schwarten. „Wegen der verflixten Kormorane sind es heute gerade mal zwei bis vier Prozent.“
Seit 800 Jahren sind Schwartens in Ostholstein als Fischer ansässig. Vom Plöner See aus zog jede jün-gere Generation die Schwentine hinauf immer einen See weiter. Aber wie es aussieht, ist heute der Kel-lersee Endstation für Familie Schwarten. Die Fische-rei rechnet sich einfach nicht mehr. Wenn da nicht Jonte wäre. Jonte ist acht. Der Sohn von Frau Schwartens Cousins. Und fragt man ihn, was er mal werden will, wenn er groß ist, zögert er keine Se-kunde: „Fischer am Kellersee!“
Seit Rüdiger Lasner auf Selbstvermarktung plus Zukauf setzt, liegen die Sorgen der Fischer im Nor-den hinter ihm. Die Fische, nachdem er sie aus dem Plöner See hochgeholt hat, haben kurze Wege. Ein Teil landet auf den Tellern, die sich seine Gäste aus der kleinen Bräterei gleich am Ufer neben den Räu-cheröfen selbst abholen. Unter freiem Himmel sitzen sie an langen Holztischen und schmausen mit Blick auf den See. Der andere Teil geht in den Verkauf im kleinen Laden vor Ort und auf Eventmärkten der Region. Lasners Fischfilets und Fischbrötchen fin-den reißenden Absatz. „Alles, was wir verkaufen, ist von uns selbst geräuchert“, sagt der selbstbewusste Fischer. „Unsere Süßwasserfische stammen aus hol-steinischen Seen“. Er hat die Fischrechte im größten See der schleswig-holsteinischen Seenplatte gepach-tet. Wenn es nicht reicht, kauft er von benachbarten Kollegen zu, sagt er. Aber auch Meerfische, wie Lachs und Markrele bietet er feil, denn die Seen geben nicht so viel Fisch her, wie er verkaufen kann.
Als ich mit dem Lehrling die gestellten Netze mit dem Boot abfahre, schweben zwei Seeadlerpärchen über uns, majestätisch, denn sie können ihre Schwingen bis zu zwei Metern ausbreiten. Sie lauern auf „ihren“ Teil der Beute. Gehen im Sturzflug auf einige ausgeworfene Fische nieder, greifen sie sich mit ihren Krallen und sind im nächsten Augenblick verschwunden. Der Lehrling lacht: „Gespeist wird an Land“.
Nach fast 5 Stunden auf dem See ist das Ergebnis mau. Drei Hechte, einige Plötze, ein paar Dutzend Barsche und viele wieder eingesetzte, weil zu kleine Fische.
Das kommt vor. Denn im Sommer fressen auch bei ihm die Kormorane tonnenweise Fisch aus „seinem“ Gewässer. „Da bleibt auch bei uns schon mal der Fang weg“. In solchen Fällen holt Lasner die Ware aus seiner Tiefkühltruhe. Der Fisch wird direkt nach dem Fang filetiert und einmal gegen Gefierbrand glasiert. Dann wird er eingefroren. „Schadet der Qualität überhaupt nicht“, meint der Fischer.
Geräucherter Fisch wird immer sofort verkauft, er ist nicht lange lagerfähig. Fünf Altonaer Öfen hat er gebaut. In ihnen wird die Ware noch überm offenen Erlenholzfeuer geräuchert, wie seit über hundert Jahren. Es gibt nur noch wenige von diesen Öfen. Wegen der Geruchsentwicklung sind sie heute nicht mehr zugelassen. Rüdiger Lasner grinst: „Welchen Nachbarn soll das hier stören?“ Stimmt. Weit und breit nur Wald und See.
Aale, Sibermaränen, Edelmaränen, Forellen, Goldfo-rellen, Saiblinge, Karpfen, Lachs, Markrelen, sogar Garnelen, Rollmöpse und ein paar Hühnereier haben über Nacht in Salzlake gelegen. Nun steht alles auf Ständer gehängt bereit. Die Fische sollen sich nicht berühren, sonst nehmen sie beim Räuchern Schaden. Mitarbeiter Bodo Tisler entzündet mit einem Gas-brenner das Anmachholz. Wenn es lodert, kommen dicke Erlenholzscheite obendrauf. Bodo ist im Be-trieb der quirlige Allrounder; er hat seinen Industrie-job gerne aufgegeben für den See. „Um bei Handar-beit gleichbleibende Qualität zu garantieren, muss es immer von derselben Hand sein. Nur Rüdi und ich dürfen räuchern, da muss sich der Kunde drauf ver-lassen können.“
Wer vorbeikommt, kann zuschauen. „Wir haben nichts zu verheimlichen. Ist kein Geheimnis, dass Räuchern viel Arbeit macht“. Und klar, dass Lasners Fisch mehr kostet als im Supermarkt. „Bis er fertig im Tresen liegt, haben wir ihn mindestens 13 Mal in der Hand gehabt. Qualität hat seinen Preis. Unser Kunde weiß das.“
„Rüdi“, wie alle den Chef nennen, kommt heute nur kurz vorbei. Er, der sonst immer vorneweg ist und bis auf das Betonfundament alle Häuser und Hütten des Geländes und sogar die Boote selbst gebaut hat, bewegt sich nur langsam. Ein Motorradunfall. Rip-penbrüche, Operationen. Aber es geht schon wieder. Nur Zugnetzfischerei ist dieses Jahr gestrichen. Der See wird’s verkraften.